Polizeiliche Todesschüsse

Seit der Wiedervereinigung wurden mindestens 358 Personen durch Kugeln der deutschen Polizei getötet.

Wir zählen von 1976 bis 1990 außerdem 153 tödliche Schüsse allein in Westdeutschland.
Jedes Jahr veröffentlicht die Konferenz der Innenminister*innen der Bundesländer eine neue Statistik zum polizeilichen Schusswaffengebrauch des Vorjahres. Neben Warnschüssen oder Schüssen auf Tiere und Sachen werden auch Polizeikugeln auf Personen und daraus resultierende Todesfälle gezählt.
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Die ab 1984 von den Behörden geführte Aufstellung ist jedoch anonym, es wird nicht auf die einzelnen Taten eingegangen. Die Statistik gibt auch keine Auskunft über die Opfer. Seit 1976 dokumentiert die Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP deshalb die Hintergründe zu den durch die Polizei verursachten Todesfällen. Dabei sammeln wir Informationen zur Beteiligung von Sondereinheiten, der Zahl jeweils abgegebener Schüsse und der Situation, in der sich die Schussabgabe zutrug.
So ist etwa von Bedeutung, ob die Getöteten selbst bewaffnet waren, sich womöglich in einer psychischen Ausnahmesituation befanden oder, wie es häufig geschieht, in ihrer eigenen Wohnung erschossen wurden.

Chronik

zeige 11 von 511 polizeilichen Todesschüsse
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an 11 von 287 Orten
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SEK-Beteiligung
Mutm. psych. Ausnahmesituation
Mutm. famil. oder häusl. Gewalt
David W.
40 Jahre, männlich
Erschossen am 10.12.2022
In Dresden, Sachsen
Bewaffnet mit Schusswaffe
Quellen: [1][2]
Nachdem der Mann eine Frau und ein Kind als Geiseln genommen hat, werden diese von der Polizei befreit. Bei diesem Zugriff durch SEK-Beamte stirbt der Mann. Vorher soll er eine seine Mutter im Stadtteil Prohlis getötet haben. Zudem habe er versucht, mit einer Schusswaffe in einen Radiosender zu gelangen.
Mutm. famil. oder häusl. Gewalt
Timo R.
31 Jahre, männlich
Erschossen am 24.10.2022
In Zülpich, Nordrhein-Westfalen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1][2][3]
Laut der Polizei Bonn und der Staatsanwaltschaft soll ein 31-jähriger Mann versucht haben, gewaltsam in sein Elternhaus einzudringen. Zwei Streifenwagenbesetzungen der Polizei Euskirchen seien von dem 31Jährigen mit einem gezogenen Messer angegriffen worden. Ein Polizist habe seine Dienstwaffe gezogen und auf den Mann geschossen, dieser sei seinen schweren Verletzungen noch vor Ort erlegen.
N.N.
30 Jahre, männlich
Erschossen am 08.09.2022
In Ansbach, Bayern
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1][2]
Nachdem ein Passant nahe des Bahnhofes wahllos Passant*innen mit einem Messer angriff und zwei von ihnen verletzte, trifft die Polizei am Tatort ein. Die hinzugekommenen Beamt*innen schießen auf den Mann, dieser stirbt trotz versuchter Reanimation vor Ort. Später heißt es, der 30-Jährige habe bei der Tat "Allahu Akbar" gerufen, sei mehrfach vorbestraft gewesen und habe kurz davor gestanden, seine Duldung als abgelehnter Asylsuchender zu verlieren.
Mutm. Alkohol- o. Drogenkonsum
Innenraum
René W.
36 Jahre, männlich
Erschossen am 07.09.2022
In Leipzig, Sachsen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1][2][3][4]
Der Mann soll in einem Supermarkt beim Stehlen von zwei Flaschen Bier und Kartoffeln erwischt worden sein, später sei er mit einem Messer wieder in den Markt gekommen und habe mutmasslich unter Alkohol- oder Drogeneinfluss das Personal bedroht. Bei einer sofortigen, richterlich angeordneten Wohnungsdurchsuchung zur Sicherstellung von Beweismitteln im Stadtteil Paunsdorf stürmt die Polizei gegen 16:00 Uhr mit der "Einheit für lebensbedrohliche Einsatzlagen", jedoch ohne SEK die Wohnung des späteren Opfers, das dabei laut einem Boulevardblatt ein Messer in der Hand hält. Nach einer mindestens zweimaligen "Schusswaffenanwendung" wird der 36-Jährige zunächst schwer verletzt und stirbt später im Krankenhaus.
Mutm. Alkohol- o. Drogenkonsum
Innenraum
N.N.
23 Jahre, männlich
Erschossen am 04.09.2022
In Berlin
Bewaffnet mit Hiebwaffe
Quellen: [1][2][3]
Wegen Schreien in der Nachbarwohnung wird die Polizei am Sonntagmorgen im Stadtteil Lichtenberg alarmiert. Die Beamt:innen sehen in der neunten Etage eines Mehrfamilienhauses, wie ein Mann mit einem Fleischerbeil auf eine 27 Jahre alte Frau einschlägt. Um den 23-Jährigen zu stoppen, wird die Schusswaffe eingesetzt, er erliegt noch am Tatort seinen Verletzungen. Auch die Frau stirbt. Der Mann soll vor dem Einsatz auf zwei Etagen gegen Wohnungstüren weiterer Nachbar*innen gehämmert und versucht haben, diese einzuschlagen.
Mutm. psych. Ausnahmesituation
Mohamed Lamine Dramé
16 Jahre, männlich
Erschossen am 08.08.2022
In Dortmund, Nordrhein-Westfalen
Mit 6 Schüssen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Ein Betreuer meldet der Polizei, dass auf einem Kirchengelände, wo sich eine Wohngruppe für unbegleitete Geflüchtete befindet, ein dort wohnender Jugendlicher mit einem Messer herumlaufe. Angeblich soll er in suizidaler Absicht Stiche in seinen Bauch angedeutet haben. Berichten zufolge greift der aus dem Senegal stammende Teenager die eintreffenden Polizist*innen mit dem Messer an, diese stellen sich aber später als falsch heraus. Daraufhin schießt ein Beamter sechs Mal aus einer Maschinenpistole. Schwer verletzt von vier Treffern in den Bauch, in den Kiefer, in den Arm und die Schulter stirbt der Teenager im Krankenhaus. Zuvor hat die Polizei auch Pfefferspray und einen Taser eingesetzt. Gegen fünf Beamt*innen wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge und Totschlag ermittelt. Mitgeführte Bodycams hätten die Beamt*innen aufgrund der "Stresssituation" nicht angeschaltet. Das Innenministerium NRW verbreitet später, diese seien aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht genutzt worden, da Suizide nicht gefilmt werden dürften. Ein toxikologisches Gutachten ergibt keine Hinweise auf den Konsum von Alkohol oder Rauschmitteln. Ein Bericht für den Rechtsausschuss des Landtags stelt später fest, dass der erste Schuss aus der Maschinenpistole nur 0,717 Sekunden nach einem „wahrnehmbaren Tasergeräusch“ fiel. Zudem wurde Dramé auch vorher nicht gewarnt, dass Pfefferspray eingesetzt wird. Erst dadurch eskalierte die Lage.
Mutm. psych. Ausnahmesituation
Mutm. Alkohol- o. Drogenkonsum
Innenraum
Jouzef Berditchevski
48 Jahre, männlich
Erschossen am 03.08.2022
In Köln, Nordrhein-Westfalen
Mit 2 Schüssen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Polizist*innen in Zivil begleiten eine Gerichtsvollzieherin, um die Zwangsräumung eines 48-Jährigen im Stadtteil Ostheim durchzusetzen. Angeblich greift der Mieter, der zuvor Drohungen für den Fall seiner Räumung ausgesprochen haben soll, die Gruppe mit einem Messer an. Die Beamten setzen nach eigenen Angaben zunächst Pfefferspray ein und töten ihn schließlich mit der Schusswaffe, er stirbt nach zwei Treffern in der Wohnung. Medienberichten zufolge sei der Mann im Juni beim Amtsgericht Köln wegen Widerstand gegen Beamt*innen angeklagt worden, nachdem er seinen Suizid ankündigte und sich gegen die deshalb gerufene Polizei zur Wehr setzte. Der Tote war in Köln als Musiker bekannt. Nach einem halben Jahr wird das Todesermittlungsverfahren eingestellt.
SEK-Beteiligung
Innenraum
Amin F.
23 Jahre, männlich
Erschossen am 02.08.2022
In Frankfurt am Main, Hessen
Mit 6 Schüssen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Die Polizei wird von Zeug*innen informiert, nachdem das spätere Opfer angeblich in einem Hotel im Bahnhofsviertel in der Nacht zwei Personen in einem anderen Zimmer bedroht habe und bewaffnet sein könnte. Berichten zufolge bricht ein angefordertes Spezialeinsatzkommando gegen 4 Uhr die Tür zu dem von dem Mann bewohnten Zimmer auf und und lässt zunächst einen Polizeihund auf ihn los. Der Hotelgast wehrt sich mit einem Messer, verletzt das Tier und macht laut Darstellung der Staatsanwaltschaft eine Stichbewegung in Richtung der Polizei. Daraufhin schießt ein Beamter sechs Mal auf die obere Körperhälfte. Nach fünf Treffern, davon ein Kopfschuss, stirbt der aus Somalien stammende 23-Jährige noch vor Ort. Gegen den Schützen wird wegen Totschlags ermittelt. Die Schüsse wurden offenbar auch in der Nasszelle des Zimmers abgegeben, der Mann also möglicherweise beschossen obwohl er keine Bedrohung mehr darstellte. Am Tatort wurden zwei Schusswaffenimitationen sichergestellt (Feuerzeug und Spielzeugpistole). Die Ermittlungen wegen Totschlags wurden nach zwei Jahren eingestellt, da der Polizist „in Notwehr gehandelt“ habe. Ein "Insider" der Polizei kritisierte den damaligen Einsatz. Es habe „überhaupt keine Notwendigkeit“ bestanden, einen Polizeihund auf Mann zu hetzen „und die Lage so vollkommen unnötig zu eskalieren“. Denn F. sei zum Zeitpunkt des Einsatzes allein in seinem Zimmer gewesen.
Mutm. psych. Ausnahmesituation
Mutm. famil. oder häusl. Gewalt
Innenraum
N.N.
31 Jahre, männlich
Erschossen am 10.05.2022
In Mannheim, Baden-Württemberg
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1][2]
Wegen häuslicher Gewalt wird die Polizei zu einem Einsatz gerufen, im Streit mit seiner Mutter soll der Mann gedroht haben, sich selbst zu töten und sich erhebliche Schnitt- und Stichverletzungen beigebracht haben. Die Polizistinn*en hätten versucht, ihn mit Reizgas zu überwältigen. Als das nicht gelang, soll eine "gezielte Schussabgabe in das Bein des 31-Jährigen" erfolgt sein. Kurz darauf starb der Mann. In der Woche zuvor war in Mannheim bereits ein 47-Jähriger nach einer Polizeikontrolle im Krankenhaus gestorben.
SEK-Beteiligung
Mutm. psych. Ausnahmesituation
Innenraum
N.N.
50 Jahre, männlich
Erschossen am 12.04.2022
In Neukirchen-Vluyn, Nordrhein-Westfalen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1]
Laut der Polizei Duisburg fährt eine Streife zu der Wohnung des eines Zeugen zufolge psychisch kranken Mannes, der dort angeblich randaliert und Gegenstände aus seiner Wohnung wirft. Die Beamt*innen werden demnach mit einem „Fleischermesser“ bedroht und rufen daraufhin ein Spezialeinsatzkommando, das der Mann angreift. Die Einsatzkräfte schießen mehrmals auf das Opfer, das lebensgefährlich verletzt im Krankenhaus stirbt.
Mutm. psych. Ausnahmesituation
N.N.
47 Jahre, männlich
Erschossen am 25.02.2022
In Gunzenhausen, Bayern
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1]
In einem Haus legt ein Mann mutmaßlich selbst Feuer und randaliert, Passant*innen rufen deshalb die Polizei. Bei Löscharbeiten der Feuerwehr greift er die Beamt*innen mit einem Messer an. Daraufhin schießen zwei Polizisten auf ihn, das Opfer verstirbt wenig später im Krankenhaus.
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