
Polizeiliche Todesschüsse
Seit der Wiedervereinigung wurden mindestens 371 Personen durch Kugeln der deutschen Polizei getötet.
Wir zählen von 1976 bis 1990 außerdem 153 tödliche Schüsse allein in Westdeutschland.
Jedes Jahr veröffentlicht die Konferenz der Innenminister*innen der Bundesländer eine neue Statistik zum polizeilichen Schusswaffengebrauch des Vorjahres. Neben Warnschüssen oder Schüssen auf Tiere und Sachen werden auch Polizeikugeln auf Personen und daraus resultierende Todesfälle gezählt.
Die ab 1984 von den Behörden geführte Aufstellung ist jedoch anonym, es wird nicht auf die einzelnen Taten eingegangen. Die Statistik gibt auch keine Auskunft über die Opfer. Seit 1976 dokumentiert die Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP deshalb die Hintergründe zu den durch die Polizei verursachten Todesfällen. Dabei sammeln wir Informationen zur Beteiligung von Sondereinheiten, der Zahl jeweils abgegebener Schüsse und der Situation, in der sich die Schussabgabe zutrug.
So ist etwa von Bedeutung, ob die Getöteten selbst bewaffnet waren, sich womöglich in einer psychischen Ausnahmesituation befanden oder, wie es häufig geschieht, in ihrer eigenen Wohnung erschossen wurden.
Chronik
zeige 70 von 524 polizeilichen Todesschüsse
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an 40 von 292 Orten
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Mutm. psych. Ausnahmesituation
Nach Angaben der ermittelnden Behörden erschienen Beamt*innen am Morgen gemeinsam mit einer Mitarbeiterin des Sozialdienstes an der Wohnung des Mannes. Dieser habe den Zutritt verweigert und durch ein geöffnetes Fenster eine Schusswaffe präsentiert, woraufhin die Polizeibeamten von ihrer Dienstwaffe Gebrauch machten. Trotz Rettungsmaßnahmen verstarb der Mann noch am Einsatzort. Die beteiligten Polizeibeamt*innen sowie die Mitarbeiterin des Sozialdienstes blieben unverletzt.
Innenraum
N.N.
20 Jahre, weiblich
Erschossen am 24.10.2024
In Schwalmstadt, Hessen
Bewaffnet mit Gas-/ Schreckschusswaffe
Nach ersten Angaben des Landeskriminalamts und der Staatsanwaltschaft Marburg hatte die demnach polizeibekannte 20-Jährige am frühen Morgen im Außenbereich der Schwalmstädter Wache auf Beamt*innen geschossen. Diese eröffneten daraufhin das Feuer und verletzten die Frau schwer. Wenig später starb sie im Rettungswagen. Später änderte die Polizei ihre Darstellung. Demnach sei die Frau ohne festen Wohnsitz wegen Trunkenheit im Verkehr sowie des unerlaubten Entfernens vom Unfallort auf die Polizeistation verbracht. Nach ihrer Entlassung sei sie dorthin zurückgekehrt, blieb aber im Hof in ihrem Fahrzeug sitzen. Als sich drei Polizeibeamte und eine Polizeibeamtin dem Auto genähert hätten, sei sie ausgestiegen und habe mit einer Schusswaffe gedroht. Jedoch handelte es sich dabei um eine Softair-Waffe, ergaben anschließende Ermittlungen.
Mutm. psych. Ausnahmesituation
N.N.
40 Jahre, männlich
Erschossen am 30.01.2024
In Frankfurt am Main, Hessen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Drei Polizisten haben auf den Frankfurter mit argentinisch-spanischer Staatsangehörigkeit geschossen, der Berichten zufolge zuvor – offenbar wahllos – zwei Frauen im Stadtteil Sachsenhausen mit einem Messer angegriffen hatte. Eine der Frauen wurde dabei im Gesicht und am Hals verletzt. Als die alarmierten Einsatzkräfte am Tatort eintrafen, sei die Situation eskaliert. Der Mann hatte in einer Einrichtung für Personen mit psychischen Beeinträchtigungen gelebt. Womöglich durch einen Querschläger wurde außerdem ein 21 Jahre alter Mann verletzt. Zeugen hatten zunächst von vier abgegebenen Schüssen gesprochen, es sollen jedoch weitaus mehr sein.
SEK-Beteiligung
Innenraum
Amin F.
23 Jahre, männlich
Erschossen am 02.08.2022
In Frankfurt am Main, Hessen
Mit 6 Schüssen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Die Polizei wird von Zeug*innen informiert, nachdem das spätere Opfer angeblich in einem Hotel im Bahnhofsviertel in der Nacht zwei Personen in einem anderen Zimmer bedroht habe und bewaffnet sein könnte. Berichten zufolge bricht ein angefordertes Spezialeinsatzkommando gegen 4 Uhr die Tür zu dem von dem Mann bewohnten Zimmer auf und und lässt zunächst einen Polizeihund auf ihn los. Der Hotelgast wehrt sich mit einem Messer, verletzt das Tier und macht laut Darstellung der Staatsanwaltschaft eine Stichbewegung in Richtung der Polizei. Daraufhin schießt ein Beamter sechs Mal auf die obere Körperhälfte. Nach fünf Treffern, davon ein Kopfschuss, stirbt der aus Somalien stammende 23-Jährige noch vor Ort. Gegen den Schützen wird wegen Totschlags ermittelt. Die Schüsse wurden offenbar auch in der Nasszelle des Zimmers abgegeben, der Mann also möglicherweise beschossen obwohl er keine Bedrohung mehr darstellte. Am Tatort wurden zwei Schusswaffenimitationen sichergestellt (Feuerzeug und Spielzeugpistole). Die Ermittlungen wegen Totschlags wurden nach zwei Jahren eingestellt, da der Polizist „in Notwehr gehandelt“ habe. Ein "Insider" der Polizei kritisierte den damaligen Einsatz. Es habe „überhaupt keine Notwendigkeit“ bestanden, einen Polizeihund auf Mann zu hetzen „und die Lage so vollkommen unnötig zu eskalieren“. Denn F. sei zum Zeitpunkt des Einsatzes allein in seinem Zimmer gewesen.
Mutm. famil. oder häusl. Gewalt
Abdul I.
39 Jahre, männlich
Erschossen am 25.08.2021
In Groß-Gerau, Hessen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1]
Eine alarmierte Polizeistreife schiesst auf den Mann und trifft ihn fünf Mal, dieser stirbt schwer verletzt während der Versorgung durch einen Notarzt. Er soll laut der Staatsanwaltschaft in Darmstadt seine Frau, seine Schwiegermutter und zwei Nachbarn mit einem Messer verletzt haben. Die Familie widerspricht den Berichten, wonach der Mann gewalttätig gewesen sei.
SEK-Beteiligung
Mutm. psych. Ausnahmesituation
Innenraum
Soner Atasoy
41 Jahre, männlich
Erschossen am 22.06.2021
In Frankfurt am Main, Hessen
Bewaffnet mit Schusswaffe, Stichwaffe
Die Polizei wird wegen einer „Gefährdungslage“ in einem Wohnhaus alarmiert. Als die Beamt*innen eintreffen, stoßen sie dort angeblich auf einen mit einer Schusswaffe und einem Messer bewaffneten Mann, der sie angreift. Diese Darstellung wird jedoch von der Anwältin der Angehörigen bestritten, der Mann hat demnach ein Taschenmesser lediglich in seiner Weste stecken und mit den Beamt*innen sogar gescherzt. Dennoch werden mehrere Schüsse auf ihn abgegeben, der Mann zieht sich nach einem Gerangel, in dem er einem Polizist die Waffe entreißen kann, in seine Wohnung zurück. Ein SEK wird hinzugezogen; dieses findet ihn leblos auf. Die Obduktion ergibt, dass der Mann an einem polizeilichen Schuss in die Seite verblutet ist.
Mutm. Alkohol- o. Drogenkonsum
N.N.
66 Jahre, männlich
Erschossen am 03.02.2020
In Vellmar, Hessen
Mit 3 Schüssen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1]
Bei einer Verkehrskontrolle wird ein Mann gestoppt, der im Verdacht steht, betrunken einen Unfall verursacht und Unfallflucht begangen zu haben. Gegen seine vorläufige Festnahme für eine Alkoholkontrolle wehrt er sich mit einem Messer. Die Beamt*innen geben drei Schüsse auf ihn ab; der Mann stirbt kurz darauf.
Verletzte/getötete Beamte
Matiullah Jabarkhil
19 Jahre, männlich
Erschossen am 13.04.2018
In Fulda, Hessen
Bewaffnet mit Wurfgeschosse, Schlagwaffe
In den frühen Morgenstunden randaliert ein junger afghanischer Geflüchteter laut Medienberichten vor einer Bäckerei, demnach wirft er nach einem Streit mit einer Verkäuferin mit Steinen und verletzt mehrere Personen. Beim Eintreffen der Polizei greift er die Beamt*innen an und flieht. Als ein Beamter ihn festzunehmen versucht, attackiert er auch ihn. Der Polizist schießt daraufhin mehrfach auf ihn; zwei Treffer sind tödlich. Im Juli 2020 hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen den Beamten nunmehr zum dritten Mal eingestellt. Obwohl die Schüsse aus einer Entfernung von etwa 150 Metern abgegeben wurden, erkannte die Staatsanwaltschaft weiterhin auf Notwehr.
Mutm. famil. oder häusl. Gewalt
Innenraum
N.N.
41 Jahre, männlich
Erschossen am 22.01.2018
In Darmstadt, Hessen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1]
N.N.
19 Jahre, männlich
Erschossen am 28.10.2017
In Mörfelden-Walldorf, Hessen
Mit 26 Schüssen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1]
Bei dem Versuch, seinen Rucksack gegen einen Diebstahl zu verteidigen, wird ein junger Mann durch einen Messerstich leicht verletzt. Als Polizeibeamt*innen den mutmaßlichen Täter wenig später entdecken und festnehmen wollen, eskaliert die Situation aus unbekannten Gründen. Alle drei Beamt*innen schießen auf den Mann, der von acht von insgesamt 26 Kugeln getroffen wird. Gegen die Beamt*innen wird wegen Totschlags ermittelt.
Schusswechsel
Mutm. Alkohol- o. Drogenkonsum
N.N.
54 Jahre, männlich
Erschossen am 24.10.2017
In Alsfeld, Hessen
Bewaffnet mit Schusswaffe
Quellen: [1]
SEK-Beteiligung
Mutm. psych. Ausnahmesituation
Innenraum
Sabino M.
19 Jahre, männlich
Erschossen am 23.06.2016
In Viernheim, Hessen
Bewaffnet mit Gas-/ Schreckschusswaffe
Quellen: [1]
Schusswechsel
SEK-Beteiligung
Mutm. psych. Ausnahmesituation
N.N.
74 Jahre, männlich
Erschossen am 17.05.2015
In Rodgau, Hessen
Bewaffnet mit Schusswaffe
Quellen: [1]
Schusswechsel
Verletzte/getötete Beamte
Mutm. famil. oder häusl. Gewalt
Innenraum
N.N.
23 Jahre, männlich
Erschossen am 06.11.2014
In Kassel, Hessen
Bewaffnet mit Schusswaffe
Quellen: [1]
Mutm. Alkohol- o. Drogenkonsum
Mutm. famil. oder häusl. Gewalt
Innenraum
Wolfgang N.
62 Jahre, männlich
Erschossen am 18.03.2013
In Frankfurt am Main, Hessen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1]
Mutm. psych. Ausnahmesituation
N.N.
31 Jahre, männlich
Erschossen am 07.12.2012
In Lindenfels, Hessen
Bewaffnet mit Gas-/ Schreckschusswaffe
Quellen: [1]
Ein Mann ruft abends mehrfach bei der Polizei an, um einen Amoklauf mit anschließenden Selbstmord anzukündigen. Parallel meldet sich dessen Freundin, ihr Freund sei an Krebs erkrankt und drehe durch. Als die Polizist*innen ihn schließlich stellen, bedroht er sie mit einer Schusswaffe. Als der Mann auf Ansprachen nicht reagiert, schießt ein Beamter; der Mann stirbt noch vor Ort.
Mutm. psych. Ausnahmesituation
Innenraum
N.N.
57 Jahre, männlich
Erschossen am 26.02.2012
In Maintal, Hessen
Mit 9 Schüssen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1]
Nachbar*innen rufen die Polizei, weil ein psychisch gestörter Mann am frühen Sonntagmorgen laut brüllend Glasflaschen in den Hof wirft. Da er die Wohnungstür nicht öffnet, fordern die Beamt*innen Verstärkung an und brechen die Wohnung auf. Der randalierende Mann wirft ein Messer auf einen Polizisten (ohne ihn zu verletzen) und greift einen anderen mit einem zweiten Messer an. Zwei Beamt*innen geben insgesamt neun Schüsse auf ihn ab und verletzen ihn tödlich.
Verletzte/getötete Beamte
Innenraum
Christy Schwundeck
39 Jahre, weiblich
Erschossen am 19.05.2011
In Frankfurt am Main, Hessen
Bewaffnet mit Stichwaffe
Quellen: [1]
In einem Jobcenter kommt es zum Streit zwischen einer Hartz-IV-Antragstellerin und ihrem Sachbearbeiter. Vom hauseigenen Sicherheitsdienst alarmierte PolizistInnen werden von der Frau mit einem Messer angegriffen. Ein Beamter wird an Bauch und Arm schwer verletzt. Seine Kollegin schießt auf die Frau und trifft sie in den Bauch, sie verstirbt im Krankenhaus.
Mutm. psych. Ausnahmesituation
Innenraum
N.N.
38 Jahre, männlich
Erschossen am 10.07.2010
In Frankfurt am Main, Hessen
Bewaffnet mit Hiebwaffe
Quellen: [1]
Ein Bewohner eines Obdachlosenheimes ruft die Polizei und teilt mit, er sei bewaffnet und habe eine Geisel genommen, die er töten werde. Die zuerst eintreffenden Beamt*innen stellen fest, dass er zwar keine Geisel hat, aber mit einem Schwert bewaffnet ist und von der Polizei erschossen werden will. Als sie Verstärkung anfordern, werden sie sofort angegriffen. Ein Beamter schießt auf den Mann, der noch vor Ort stirbt.
Die Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP liefert seit 1978 kritische Analysen zur Politik und Praxis Innerer Sicherheit in Deutschland und Europa.
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Umgesetzt von Johannes Filter und Matthias Monroy
basierend auf jahrzehntelangen Recherchen von
Otto Diederichs und der Bürgerrechte & Polizei/CILIP-Redaktion.
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Otto Diederichs und der Bürgerrechte & Polizei/CILIP-Redaktion.